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Aikido und Selbstverteidigung

Verteidigung ist im Grunde ein Gegen-Angriff.

Wer kennt nicht den Spruch: "Angriff ist die beste Verteidigung".

Angriff ist ein aggressiver Akt. Das Gleiche gilt daher auch für die Verteidigung. Hier sollte man sich nichts vormachen. Verteidigung wird nicht dadurch zu einer friedlichen Aktion "geadelt", dass sie schließlich "nur" zum eigenen Schutz gegen einen von außen kommenden "Aggressor" eingesetzt wird. Der Angreifer kann im besten Falle zwar unschädlich, aber nicht friedlich gemacht werden.

Verteidigung ist niemals friedlich und kann folglich auch keine Situation befrieden. Angst und Aggression sind nun einmal zwei Seiten der gleichen Medaille.

Untersuchungen von Gewalttaten belegen eindeutig, dass jeder Gewalttat in der Regel eine Täter-Opfer-Beziehung zugrunde liegt, die letztlich in die Gewalttat mündet. Es ist auch belegt, dass ängstliche, unsichere Menschen eher zu Aggressionen neigen, als mutige, souveräne Menschen.

Jeder kann an sich selbst wahrnehmen, wie die Angst den Geist unruhig und unsicher macht. Die Konzentration ist blockiert, die Atmung reduziert sich zur Brustatmung und wird flach und schnell, das Herz schlägt schneller, etc.

Ängste treten nicht nur in lebensgefährlichen Situationen auf, sondern vor allem in alltäglichen Situationen wie Prüfungen, Bewerbungsgesprächen, das Halten einer Rede vor vielen Menschen, Auseinandersetzungen in der Familie oder am Arbeitsplatz.

Treffen zwei aggressive (ängstliche) Menschen aufeinander und kommt es zum Konflikt, wird der "gewinnen", der die bessere Technik bzw. die besseren Waffen hat. Das Üben von Selbstverteidigungstechniken verfolgt im Grunde das Ziel "aufzurüsten", um in Konflikten zu dominieren.

Aikido verfolgt dagegen ein ganz anderes Ziel:

Geübt wird, mit dem anderen Menschen eine harmonische, liebevolle Situation zu schaffen, in der beide Platz zum Überleben haben. Auf Japanisch nennt man das Ai.

"Leben und leben lassen" lautet die Devise.
Um eine harmonische Situation schaffen zu können, muss man selbst ein gewisses Maß an Harmonie im eigenen Bewusstsein realisiert haben. Jeder weiß, wie schwer es ist, gelassen zu bleiben, wenn man unfreundlich oder ungerecht behandelt wird.

Mit dem Thema Gewaltlosigkeit haben sich nicht nur die Yogawissenschaft und der Buddhismus befasst. Sie ist auch ein zentrales Thema in der Bergpredigt von Jesus bei Matthäus, Kap. 5-7. Es wird viel darüber diskutiert, wie Gewaltlosigkeit konkret umzusetzen sei. Meines Erachtens geht es darum, frei zu werden von eigener Gewalttätigkeit und von eigenen Ängsten.

Genau das wird im Aikido geübt. Die "Angriffe" dienen lediglich als Übungsmaterial für beide Partner. Der "Angegriffene" soll lernen, mit der Angriffsenergie friedlich umzugehen, also beherzt und entspannt im richtigen Moment auszuweichen und die Angriffsenergie so zu absorbieren oder weiterzuleiten, dass niemand dabei zu Schaden kommt. Das setzt zwangsläufig einen friedlichen "Angriff" voraus, den der "Angreifer" zu üben hat. Er soll völlig entspannt und konzentriert eine Verbindung mit dem "Angegriffenen" eingehen und ihm die Angriffsenergie zur Verfügung stellen, die diesen befähigt, die Technik korrekt auszuführen.

Die einzelnen Bewegungsabläufe werden nicht etwa einstudiert und quasi choreographisch ausgeführt. Sie ergeben sich jedes Mal völlig neu. Dadurch sind beide Partner gezwungen, sich immer wieder auf den Moment einzulassen. Sie üben auf diese Weise, über einen langen Zeitraum entspannt und konzentriert zu agieren. Sie üben weiter, sich nicht über den "Angriff" aufzuregen und ihm aggressiv zu begegnen, sondern sich davon frei zu machen. Dann ähnelt Ihre Bewegung der Bahn der Himmelskörper im Universum. Aikido ist letztlich ein Weg (Do) zur Harmonie (Ai) mit der kosmischen Energie (Ki) zu gelangen.

Fazit: Aikido hat mit Selbstverteidigung nichts zu tun. Trotzdem ist es in gefährlichen Situationen hilfreich. Die Wahrnehmung wird enorm geschult. Potentielle Angreifer werden frühzeitig erkannt. Zu einem Angriff kommt es in der Regel nicht, wenn keine Angst/Antipathie gegenüber dem potentiellen Angreifer den Geist beherrscht. Jeder kann sich selbst testen und beobachten, wie er unangeleinten Hunden begegnet und wie sie ihm begegnen.

Berlin, 17.04.2008
Norbert Maes



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Den Moment erfahren

Immer wieder ist Rede davon, man müsse "im Hier und Jetzt" leben, es ginge in einem erfüllten Leben darum, "den Moment" zu erfahren.

Zu diesem Thema gibt es reichlich Literatur und weise Sinnsprüche. In der Muße und in der Kontemplation versucht man, dieser Erfahrung ein Stück näher zu kommen.

Als allgemein akzeptiert gilt die These, dass ständige Ablenkung durch die Sinne (und deren Objekte), Terminstress und körperliche Überanstrengung den Menschen daran hindern, das Leben zu genießen, zu kontemplieren, ja den Moment zu erfahren.

Tatsachlich liegt in der Erfahrung des Moments weit mehr, nämlich die Meisterung der Zeit. In der Meditation ist es die Erfahrung der Pausen zwischen den kleinsten Bewegungen im Universum, der Moment, in dem ein Gedanke verschwindet und ein neuer Gedanke auftaucht. Im Aikido ist es der Moment zwischen Begegnung und Auseinandergehen im Wurf, Kokyo-nage (jap.: Atemwurf).

Wir leben meist aus der Erinnerung, denken in den Strukturen unserer Gewohnheiten und sind mit unseren Gedanken entweder in der Zukunft, bei dem, was wir noch alles vorhaben und wünschen oder in der Vergangenheit, bei dem, was doch so schön oder schlimm war. Während wir unseren Gedanken "nachhängen", "stolpern" wir durch die Gegenwart, die wir nur mit eingeschränkter Achtsamkeit wahrnehmen.

Wer den Moment, und zwar jeden Moment bewusst erfahren will, muss also ein hohes Maß an Achtsamkeit entwickeln, was in der Regel nur durch kontinuierliche Übung über einen langen Zeitraum möglich ist. Nicht umsonst gibt es unzählige Meditations-, Yoga und Kampfkunstschulen, die mit den unterschiedlichsten Übungskonzepten auf den Moment vorbereiten wollen. Wer noch keine Schule gefunden hat oder sich als Autodidakt begreift, fange gleich an:

Bequeme Sitzhaltung einnehmen, Wirbelsäule vom unteren Ende beginnend aufrichten, Stirn entspannen, lautlos durch die Nase atmen (lange ausatmen, tief einatmen, Konzentration auf den Punkt auf der Oberlippe zwischen den Nasenflügeln, Atem beobachten, die Atembewegung gedanklich begleiten: Beim Ausatmen bis zum Ende der Ausatmung "Eiiinnnsss" denken, beim Einatmen bis zum Ende der Einatmung "Zwwweiii" denken. Es folgen weitere 4 Atemzüge (Ein- und Ausatmung). Die Übung dauert, je nach Atemrhythmus 1-2 Minuten. Geübt drei Mal am Tag über einen langen Zeitraum – und der Moment, den man erfahren möchte, rückt näher!

Berlin, 22.05.2008
Norbert Maes